An Spätsommerabenden mit dem Rad über die Donauinsel
Autorin: Liesbeth Forsthuber
Strecke: 12,6 km; Taschenlampe empfohlen
Startpunkt: U2 Donaustadtbrücke Google Maps Link
Die Donauinsel könnte man als einen großen, langgestreckten Park bezeichnen. Obwohl künstlich geschaffen, ist sie doch sehr abwechslungsreich in ihren Lebensräumen und weist für ihre Lage inmitten der Großstadt eine ansehnliche Artenvielfalt auf. Diese Radtour ist vor allem an spätsommerlichen Abenden und Nächten Mitte August bis Ende September ein spezielles (Hör-) Erlebnis. Man kann dabei die typischen dämmerungs- und nachtaktiven Arten, vor allem einige Grillenarten samt zwei „Exoten“, innerhalb kurzer Zeit kennenlernen.
Wir beginnen unsere Tour am späten Nachmittag bei der U2-Station Donaustadtbrücke, von wo aus wir über die Neue Donau auf die Donauinsel gelangen. Über die asphaltierten Wege geht es nun donauabwärts. Am Weg tauchen immer wieder kleinräumige Habitate und unterschiedlich gemähte Wiesen auf, bei denen wir kurz anhalten. Auf Wiesen mit höherem Bewuchs finden wir oft die Gestreifte Zartschrecke. Auch kann man bei dieser Gelegenheit die auf Blättern sitzenden Weinhähnchen erspähen. An offenen, teilweise schottrigen Stellen, z. B. auf Baustellen oder Materiallagerplätzen, lohnt sich die Suche nach der auffälligen und mobilen Grünen Strandschrecke.
Nach ca. 4 km erreichen wir das Ruderzentrum nahe der Steinspornbrücke. Auf dem Gelände mit den alten gemauerten, grasbewachsenen Zuschauertreppen tummeln sich Italienische Schönschrecke, Blauflügelige Ödlandschrecke und Brauner Grashüpfer. Etwas abseits zwischen den Wegen liegt eine meist ungemähte Böschung, auf welcher zudem Dickkopf-Grashüpfer, Großer Heidegrashüpfer und Graue Beißschrecke singen. Auch Gottesanbeterinnen müssen versuchen, den vielen Radfahrern und durchlaufenden Fußgängern zu entkommen.
Bei Einbruch der Dämmerung hören wir auf der Fahrt das unermüdlich von den Bäumen scheppernde Grüne Heupferd. Dazwischen ertönt immer wieder aus hochgrasigen Bereichen das sehr hochfrequente, durchgehende Sirren der inzwischen fast ebenso häufigen Großen Schiefkopfschrecke, die sich als Profiteurin des Klimawandels in kürzester Zeit im gesamten Siedlungsraum Wiens ausgebreitet hat. Nicht zu schnell an Gebüschen vorbeifahrend, bemerken wir immer wieder die kurzen „zrrt“-Laute der Gewöhnlichen Strauchschrecke. Viel lauter, aber eher vereinzelt, erklingen ab jetzt wieder die unverkennbaren, durchdringenden Rufe des Weinhähnchens.
Weiter geht die Runde am Toten Grund vorbei zum Kraftwerk Freudenau, wo bis in den Frühwinter hinein auf den umgebenden Wiesen bei Sonnenschein noch einzelne Verkannte Grashüpfer zu hören sind. Über die Staumauer des Kraftwerks fahren wir an das rechte Donauufer und hier wieder zurück donauaufwärts am Wiener Containerhafen vorbei Richtung Friedenspagode. Eine wärmeliebende Art, die zwischen vegetationslosen Schottersteinen der parallel zum Radweg verlaufenden Gleisanlagen lebt, ist die Südliche Grille, die wir hier schon vereinzelt aus den Geräuschen des Hafens heraushören können. Sie singt in ratternden, durchgehend vorgetragenen Versen aus dem Gleisschotter und ist an vielen Bahnhöfen Wiens zu vernehmen. Ab nun müssen wir uns ganz auf unser Gehör konzentrieren. Wenn wir die oben genannten „Allerweltsarten“ ausblenden können, fällt uns sofort (wenn auch an immer anderer Stelle) ein besonderer, unbekannter Gesang auf: Es handelt sich um die Kurzflügelgrille – eine aus Asien eingeschleppte Art, die im Freiland sehr selten, aber anscheinend aufgrund der klimatischen Bedingungen immer öfter überleben kann. Der Gesang ist nicht schwierig zu orten, aber nachdem das Tier bei Annäherung sofort zu singen aufhört und außerdem in Ritzen und Spalten sitzt, ist es meist ein Geduldspiel, sie zu Gesicht zu bekommen oder gar zu fotografieren. Diese tropische Grille sieht dem Heimchen recht ähnlich, welches hier stellenweise ebenfalls in großer Anzahl vorkommt und leichter zu entdecken ist. Die Kurzflügelgrille ist aber etwas kleiner und ihr Gesang unterscheidet sich deutlich, er ist schneller und regelmäßiger.
Nach der Pagode kommen wir zu einem Parkplatz, der zwischen den durch eine Mauer abgetrennten Schienen und der Donau liegt. Das Ableuchten der dort stehenden alten Pappeln (an welchen die Kurzflügelgrille im Gebiet erstmals nachgewiesen wurde) und der Wegränder kann sich auszahlen: Neben der Kurzflügelgrille können Heimchen und deren Larven, vereinzelt Südliche Grillen, Südliche Eichenschrecken sowie das ein oder andere Gelege der Gottesanbeterin im Lichtschein auftauchen.
Um eine zweite sich derzeit etablierende Heuschreckenart kennenzulernen und das nächtliche Klangbild abzurunden, fahren wir donauaufwärts auf dem Radweg an Stadlauer- und Donaustadtbrücke vorbei und die Donaulände noch etwa 4 km entlang. Nun kommen wir beim Hotel Hilton in einen Bereich, wo aus Hecken und Gebüschen ein Gesang zu vernehmen ist, der jenem der Gewöhnlichen Strauchschrecke ähnelt. Er wird von Schmidts Grüner Strauchschrecke vorgetragen, die erst in den 2010er-Jahren aus dem Mittelmeerraum nach Wien eingeschleppt wurde und sich zusehends ausbreitet. Es kann also spannend sein, sich ihren Gesang gut einzuprägen, um die weitere Entwicklung der Wiener Bestände dokumentieren zu können.
Hier endet unsere abendliche Rundfahrt, die U2-Station Stadion ist in wenigen Minuten über den Roman-Köhler-Steg und die Dr.-Natterer-Gasse erreicht.